Reisebericht
«KARIBUNI SANA -
ASANTE SANA»
Salesan-Ostafrikareise
vom 17. September bis 4. Oktober 2004
Reisebericht von Jakob Schuler
Vorwort
Wenn unser Herz all die intensiven Erlebnisse und Erfahrungen der 18-tägigen Reise rückblickend in kurzer und prägnanter Form zusammenzufassen hätte, würde es dafür wohl auf jene zwei Begriffe der tansanischen Landessprache Kiswahili zurückgreifen, die sich uns als erstes eingeprägt haben: «Karibuni sana» (Herzlich willkommen) und «Asante sana» (Herzlichen Dank). Kaum auf dem schwarzen Kontinent gelandet, dürfen wir zum ersten Mal jene wunderbare Gastfreundschaft erfahren, die uns nun während des ganzen Aufenthalts zuteil wird. Land und Leute Ostafrikas beschenken uns in einem Ausmass, das sich «nur» mit Dankbarkeit aufwiegen lässt: «Asante sana!»
Ein Stück afrikanischer Geschichte
Mit dem Ziel, uns einen Teil Afrikas und dessen Bewohner etwas näher vorzustellen sowie uns vor Ort zu zeigen, was nachhaltige Entwicklungshilfe konkret bedeutet, führt uns Werner am 17. September 2004 nach Dar es Salaam in Tansania, dem Ausgangspunkt unserer dreiwöchigen Ostafrikareise, wo wir von den beiden Salesianer Patres Pius und Johnson erwartet werden. Im Priesterseminar von Kibaha bereiten uns die Novizen einen herzlichen Empfang. Nach einer erholsamen Schlafnacht unter dem Moskitonetz dürfen wir uns zum ersten Mal an den köstlichen einheimischen Früchten wie Papayas, Ananas, Bananen und Wassermelonen laben, deren ausgereifter Geschmack sich ganz wesentlich von den bei uns erhältlichen Tropenfrüchten abhebt. Der Besuch der Sklavengedenkstätte in Bagamoyo konfrontiert uns mit einem dunklen Kapitel afrikanischer Geschichte. Im 19. Jahrhundert wurden an diesem malerischen Ort am indischen Ozean tausende schwarzer Sklaven verschifft. Die Beseitigung dieses unmenschlichen Handels ist nicht zuletzt auf die Verdienste der «Weissen Väter» zurückzuführen, welche von hier aus mit der Missionierung des schwarzen Kontinents begannen.
«Überraschung» im Landesinneren
Die zweite Reiseetappe führt uns nach Tabora, wo Pater Thomas mit viel Initiative und Einfühlungsvermögen ein Heim für Strassen- und Waisenkinder leitet. Die Kinder erwarten uns am Eingangstor, beschenken uns mit einem traditionellen Kanga (bunt gemustertes Baumwolltuch, in das sich die Frauen Ostafrikas auf fantasievolle und individuelle Weise einhüllen) und führen uns tanzend und singend in den Innenhof. In einer für unsere Verhältnisse geradezu primitiven Küche bereiten die beiden Betreuerinnen Maria und Anna einfache und schmackhafte Mahlzeiten zu. Am Nachmittag statten wir der Missionsstation Itaga einen kurzen Besuch ab. Die Fahrt übers Land führt uns an typisch afrikanischen Strohhütten vorbei, die heute mehr und mehr von Wellblechhütten verdrängt werden. Am Ufer des idyllisch gelegenen Igombe-Stausees erleben wir einen beeindruckenden Sonnenuntergang. Als Dank für die mitgebrachten Geschenke und zum Ausdruck ihrer Freude über unseren Besuch unterhalten uns die Kinder anschliessend mit verschiedenen Tanz- und Gesangsdarbietungen. Dabei staunen wir einmal mehr, wie elegant sich schon die ganz Kleinen zum Trommelklang und den mehrstimmigen Gesängen bewegen. Der Rhythmus muss den Afrikanern wohl ins Blut gelegt worden sein.
Nach einem Besuch bei den St. Anna Schwestern, die ganz in der Nähe ein Spital betreiben, wäre am anderen Tag eigentlich der Rückflug nach Dar es Salaam geplant gewesen. Bis es aber soweit ist, müssen wir uns in Geduld üben. Grund: Am eigentlichen Abreisetag kommt gar kein Flugzeug und am darauffolgenden Tag ist das für uns bestimmte Flugzeug bereits voll besetzt! Wir kommen deshalb in den «Genuss» einer dritten Nacht in Tabora, diesmal im besten Hotel vor Ort. Es ist wohl nicht zuletzt dem guten Beziehungsnetz von Pater Thomas zu verdanken, dass wir uns nach diesen zwei nicht ganz freiwilligen Zusatztagen im Herzen Afrikas beim dritten Anlauf dann doch noch genügend freie Sitzplätze im Flugzeug «erobern» können. Der geplante Schul- und Spitalbesuch in der Missionsstation Morogoro ist nun aber aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich. Dafür entschädigt uns die säumige Fluggesellschaft wenigstens mit einem Gratis-Anschlussflug von Dar es Salaam nach Arusha, womit uns eine achtstündige Autofahrt im vollgestopften Landrover erspart bleibt. Dem planmässigen Start unserer Kilimanjaro-Besteigung steht nun nichts mehr im Wege.
Auf dem Dach von Afrika
Es ist bereits dunkel, als wir am 22. September kurz nach 20 Uhr auf dem Kilimanjaro-Airport in der Nähe von Arusha landen. Freudestrahlend nimmt uns Pater Augustine in Empfang und fährt uns zum Gästehaus der Franziskanerinnen in Burka, einem Vorort von Arusha, wo uns ein feines Nachtessen erwartet. Anschliessend geht es ans Packen unserer Bergausrüstung, die für den Gipfelerfolg von grösster Bedeutung ist. Gut ausgeruht fahren wir am anderen Tag zum Machame-Gate auf 1820 m ü. M., wo das grosse Abenteuer beginnt. Am Eingang zum Kilimanjaro-Nationalpark lassen wir uns ein erstes Mal registrieren (Personalien mit Passnummer). Guide Augustin verteilt sämtliches Gepäck auf seine 18-köpfige Trägermannschaft, so dass wir ab jetzt nur noch unseren Tagesrucksack zu tragen haben. Wir sind nicht die einzigen Kili-Anwärter. Neben uns machen sich noch weitere grössere und kleinere Gruppen bereit, die sechs anspruchsvollen Etappen der Machame-Route in Angriff zu nehmen:
- Machame Camp (2950 m),
- Shira Camp (3840 m),
- Lawa Tower (4630 m) - Barranco Camp (3950 m),
- Barranco Wall (4200 m) - Karranga Valley (3970 m) - Barafu Camp (4660 m),
- Stella Point (5685 m) - Uhuru Peak (5895 m) - Mweka Camp (3100 m),
- Mweka Gate (1980 m).
«Pole-pole!» (langsamen Schrittes) führt uns der stetig ansteigende Weg zuerst durch dichten Regenwald mit üppigem Moospolster und hängenden Flechtennetzen hinauf in eine sich allmählich lichtende Heide- und Moorlandschaft, die sich mit zunehmender Höhe in eine halbwüstenhafte Hochgebirgs- und schliesslich in eine öde Vulkangesteinlandschaft verwandelt. Unterwegs begegnen wir exotischen Pflanzen: Enrikazeen-Stangen, Lobelien, Senecien und Riesenkreuzkraut. Die ersten zwei Tage können wir schönes Wetter geniessen. Am dritten und vierten Tag werden wir mit Graupelregen und Schneefall «überrascht» (und das in Äquatornähe!). Der Gipfeltag entschädigt uns dafür mit einer Vollmondnacht, Sonne pur und blauem Himmel.
Bei einem im Hinblick auf die optimale Akklimatisation bewusst langsam gehaltenen Schritttempo bewegen sich unsere täglichen Marschzeiten zwischen 4½ und 6½ Stunden. Der kräfteraubende Gipfeltag fordert 7½ Stunden Aufstieg und 5 Stunden Abstieg. Nach einer kurzen Ruhephase brechen wir um Mitternacht auf. Dank des Vollmonds können wir schon bald ohne das Licht unserer Stirnlampen laufen. Schritt für Schritt und «pole-pole!» gewinnen wir langsam aber stetig an Höhe und spüren dabei mit jedem Meter, wie die Luft dünner und dünner wird. In regelmässigen Abständen gibt es Tee und kleine Zwischenverpflegungen aus dem Rucksack. Nach genau sechs Stunden erreichen wir am Stella Point (5685 m) den Kraterrand, wo wir einen gewaltigen Sonnenaufgang erleben dürfen. Von hier trennen uns noch 1½ Stunden vom Uhuru-Peak (5895 m), den wir am 27. September 2004 um 07.30 Uhr - vom Aufstieg gezeichnet, aber überglücklich - erreichen. Fünf Teilnehmern unserer siebenköpfigen Gruppe ist der Gipfelerfolg beschieden. Margrit musste im letzten Lager zurückbleiben und Stefan gibt auf 5400 m auf. Mit berechtigtem Stolz gratulieren wir einander aufs herzlichste, geniessen die herrliche Aussicht, knipsen die obligaten Gipfelphotos und nehmen dann schon bald den fünfstündigen Abstieg in Angriff.
Mit jedem Meter Abstieg geht das Atmen wieder besser. Im Mweka Camp auf 3100 m wird uns dann erst am späteren Nachmittag so richtig bewusst, welch tolle Leistung wir in den hinter uns liegenden sechs Tagen vollbracht haben. Das Glas Rotwein zum Znacht ist deshalb mehr als verdient. Ein letztes Mal «geniessen» wir die Nacht im Zelt, bevor es am anderen Tag zum Nationalpark-Ausgang bzw. Mweka-Gate (1980 m) hinunter geht, wo wir das begehrte Kilimanjaro-Besteigungszertifikat in Empfang nehmen dürfen. Zum Abschied belohnen wir unsere Träger mit einem Trinkgeld und schenken ihnen verschiedene Ausrüstungsgegenstände, die sie mit grosser Freude in Empfang nehmen. In Moshi werden wir von Pater Augustine abgeholt, der uns alle gesund und wohlbehalten nach Burka/Arusha zurückfährt, wo uns die lang ersehnte Dusche und anschliessend ein feines Nachtessen in der Stadt erwartet. Freude herrscht: Hinter uns liegen eine ca. 95 km lange Marschdistanz, 37 3/4 Stunden reine Marschzeit, 4'985 Höhenmeter im Aufstieg und 5'825 Höhenmeter im Abstieg!
Bei den «fünf Grossen»
Für die kommenden zwei Tage trennt sich die Gruppe auf: Werner und Pater Augustine fahren nach Morogoro, wo sie zu den Schulabschlussfeierlichkeiten erwartet werden. Wir übrigen freuen uns auf die Safari im Ngorongoro-Krater und Lake Manyara-Nationalpark. Die Fahrt zum Ngorongoro-Krater ist sehr abwechslungsreich. Die fruchtbaren Plantagen um Arusha gehen bald in die weite Savanne über. Je näher wir dem Nationalpark kommen, umso dichter wird der Baumbestand mit seinen typischen Schirmakazien und den stämmigen Baobabs. Auf den Feldern tauchen immer wieder rote Punkte auf. Es handelt sich dabei um stolze Maasais, die in ihrer auffälligen Kleidung das Vieh vor sich her treiben. Vereinzelt sind wir ihnen auch schon in den Städten begegnet. Jüngere Maasai-Burschen tragen eine furchterregende weisse Kopfbemalung. Ein Zeichen dafür, dass sie sich bald zu den Erwachsenen zählen dürfen.
Bevor wir uns von einem Parkguide in den Ngorongoro-Krater hinunter führen lassen, bestaunen wir auf dem 2300 m hoch gelegenen Kraterrand die grossartige Aussicht und erfahren dabei interessante Details über dieses weltbekannte Wildreservat. Auf dem 700 m tiefer gelegenen Kraterboden beginnt dann die erlebnisreiche Rundtour im offenen Landrover, während der uns das Glück überaus hold ist. Auf kleinster Fläche (der Krater weist einen Durchmesser von 23 km auf) begegnen wir im Verlauf des Nachmittags all jenen Tieren, die wir bisher nur im Zoo oder Zirkus zu sehen bekamen, allen voran «the big five»: Elefant, Löwe, Gepard, Nashorn und Büffel (die nicht alle Besucher im ersten Anlauf vollzählig zu Gesicht bekommen!). Auch die übrigen Reservatsbewohner geben uns die Ehre: Paviane, Zebras, Gnus, Antilopen, Nilpferde, Nilgänse, Warzenschweine, Hyänen, Schakale, Strausse, Marabus, Flamingos und verschiedene andere Vogelarten (wie z.B. Kronenkraniche, Glanzstare und Kuhreiher). Kinderträume werden wahr: die afrikanischen Wildtiere einmal in freier Natur beobachten und erleben zu dürfen. Auf der Rückfahrt zum Kraterrand hinauf winken uns zwei Elefanten am späten Nachmittag mit ihren Ohren auf Wiedersehen. Bilder, die sich uns tief einprägen. Doch nicht genug: Auf der Fahrt zu unserer Lodge hoch über dem Lake Manyara-Nationalpark hüllt die Abendsonne die ganze Landschaft in ein warmes rötliches Licht und schafft damit eine Stimmung, die sich kaum beschreiben lässt. Beim Nachtessen stossen wir auf einen weiteren unvergesslichen Tag an.
Wie es sich für eine Safari-Lodge gehört, werden wir am nächsten Morgen von einer Meute kreischender Paviane geweckt. Margrit darf sogar mit ansehen, wie ihr ein Pavian ein Ei aus dem Lunchpaket klaut. Der heutige Abstecher in den Lake-Manyara-Nationalpark ist bei weitem nicht mehr so ergiebig wie der gestrige Tag. Während der gegenwärtigen Trockenzeit sind die für diesen Park typischen Flamingos nur sehr spärlich anzutreffen, auch sonst hält sich die Zahl der Tiere, die wir heute zu sehen bekommen, eher in Grenzen. Hauptattraktion bilden deshalb die Giraffen, die wir bisher noch nicht zu sehen bekamen. Wir sind aber mit unserer «Ausbeute» mehr als zufrieden und kehren am frühen Nachmittag um viele Eindrücke reicher nach Arusha zurück.
Gegensätze
Als letzte Reiseetappe steht am 1. Oktober die fünfstündige Fahrt von Arusha nach Kenia an, wo wir Pater Augustine’s St. Joseph’s Pfarrei in Mlolongo bei Nairobi besuchen. Wie in Tabora werden wir auch hier am frühen Morgen jeweils vom Muezzin der benachbarten Moschee geweckt. Auf einer Stadtrundfahrt erleben wir zuerst die schöne Vorderseite von Nairobi. Ein Slumbesuch zeigt uns dann aber auch deren hässliche Rückseite.
Im St. Joseph’s Ausbildungszentrum erhalten Frauen eine Grundausbildung im Nähen, welche es ihnen ermöglicht, selbständig zu arbeiten oder dank diesen Vorkenntnissen in einem umliegenden Textilunternehmen eine Anstellung zu finden. Wir haben Gelegenheit, die Frauen bei ihrer Arbeit zu beobachten und können uns dabei vom grossen Nutzen solcher Ausbildungsplätze überzeugen. Der Sonntagsgottesdienst mit der Pfarrgemeinde wird für uns alle zu einem eindrücklichen Erlebnis. Wir verstehen zwar kein Kiswahili, werden aber von den mehrstimmig vorgetragenen Liedern und den anmutigen sakralen Tanzeinlagen junger Mädchen sofort in das Geschehen miteinbezogen. Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt und es sind alle Altersgruppen vertreten. Keine Spur von Passivität, alle machen engagiert und andächtig mit, klatschen beim Singen in die Hände und freuen sich, während 2½ Stunden echte Gemeinschaft feiern zu dürfen. Am Nachmittag fahren wir durch die Slums von Nairobi und besuchen dort das Waisen- und Behindertenheim der Mutter Theresia-Schwestern. Was diese Ordensleute inmitten grössten Elends leisten, beeindruckt uns zutiefst. Behinderte Menschen und eine Vielzahl von teilweise noch ganz kleinen Waisenkindern, deren Eltern an Aids gestorben sind oder sie verstossen haben, finden hier eine rettende Insel. Ein Blick in die Augen dieser kleinen Geschöpfe sagt alles. Eine junge polnische Nonne versucht uns in einfachen Worten zu erklären, wie sie ihre Berufung zu diesem aussergewöhnlichen Engagement erlebt. Wir werden ganz still und tragen ein grosses Staunen darüber mit nach Hause.
«Asante sana»
Am 5. Oktober landen wir alle wieder wohlbehalten in Zürich-Kloten. Auf dem Weg zum Flughafen in Nairobi dürfen wir am Vorabend noch einmal die guten Dienste von Pater Augustine in Anspruch nehmen. Er und seine Mitbrüder haben uns während den letzten drei Wochen mit viel Gespür und grossem persönlichen Engagement einen Einblick in die afrikanische Seele vermittelt, wie dies wohl nur wenigen «Touristen» vergönnt ist. Wir werden einige Zeit brauchen, um all die vielen Erlebnisse, tiefen Eindrücke und intensiven Begegnungen in unseren Herzen zu verarbeiten. Zurück bleibt ein grosses Dankeschön an Dich, lieber Werner, an alle Gastgeber und Betreuer vor Ort sowie an all unsere lieben Freunde, die wir in Afrika zurückgelassen haben: «Asante sana» und auf Wiedersehen!
Reisebericht von Jakob Schuler.
verfasst im
Herbst 2007
Organisation/Leitung:
Werner B. Müller, Präsident Verein Salesan (Altendorf)
Gastgeber/Betreuer vor Ort:
Pater Pius und Pater Jonthon (Dar es Salaam/Kibaha)
Pater Thomas (Tabora/Ipuli)
Franciscan Capuchin Sisters (Burka/Arusha)
Pater Augustine (Arusha und Mlolongo/Nairobi)
TeilnehmerInnen:
Margrit, Stefan und André Marolf (Gockhausen)
Andreas Helbling (Frauenfeld)
Ruth Mühle und Jakob Schuler (Lachen)